Die neue Lernende – wie KI den Werkstattalltag erleichtert

Schadenkalkulation

Die neue Lernende – wie KI den Werkstattalltag erleichtert

6. Oktober 2023 agvs-upsa.ch – In vielen Garagen ist Skepsis gegenüber der künstlichen Intelligenz bisweilen spürbar. Anstatt die ­Vorteile ­digitalisierter Prozesse zu nutzen, schmälert oft die an eine KI gestellte immense Erwartungshaltung die ­Bereitschaft zur Annäherung. Dabei bedeutet die Technologie gerade im Schadenmanagement enorme ­Zeitersparnis. Cynthia Mira


Die KI bietet im ­Schadenmanagement Unterstützung im Werkstattalltag, die Fachexpertise der ­Garagisten aber ist und bleibt zentral. Foto: iStock

Das neue Produkteprogramm Solera’s Qapter VI von Solera, dem Mutterkonzern von Audatex Schweiz GmbH, kam 2020 auf den Markt und nimmt seither an Fahrt auf. Das entwickelte KI-System hat es in sich: Es erkennt Schäden an Fahrzeugen anhand hochgeladener Fotos, indem es auf ein gigantisches Datenset zurückgreift. Aufgrund der Bilder erstellt das System automatisch eine Schaden- und Reparaturkalkulation und listet die benötigten Ersatzteile auf. Dies funktioniert für sämtliche Marken und auch für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben.

In der Praxis stellt Solera’s Qapter VI eine enorme Arbeitshilfe dar, alleine dadurch, dass die Kundschaft im Schadenfall die Garage nicht mehr mehrfach aufsuchen muss. Stattdessen stellt man einen Link zur Verfügung, um den Schaden zu fotografieren und die Bilder hochzuladen. Qapter VI nimmt anschliessend eine automatisierte Vorkalkulation vor, welche durch den Serviceberater oder Lackiermeister weiterverarbeitet werden kann. Aufgezeigt wird unter anderem, um welchen Schaden es sich handelt und wie lange eine Reparatur in etwa dauern könnte. Auf dieser Basis kann ein Reparaturtermin vereinbart werden, ohne das Fahrzeug je zuvor gesehen zu haben. Solera reduziert damit nicht nur die Zeit, die für die konventionelle Erstellung einer Kalkulation benötigt wird, indem vorbereitende Arbeiten automatisch erledigt werden, sondern macht die aufwändigen Koordinationsarbeiten mit dem Kunden obsolet. Zudem können Werkstätten den Aufwand besser abschätzen. Aber wo liegen die Grenzen von Solera’s Qapter VI? Die AGVS-Medien haben bei Arben Ndue, Business Development Manager von Solera, nachgefragt.


Arben Ndue, Business Development Manager von Solera​

Arben Ndue, welche Art von Schäden erkennt die KI und welche nicht? Gibt es hierzu Beispiele, die mit der zusätzlichen «Fütterung» neuer Daten künftig verbessert werden?
Arben Ndue, Business Development Manager von Solera: Das System erkennt Schäden, welche klar auf den Bildern ersichtlich sind. Grundsätzlich können Oberflächenschäden sehr rasch und präzise kalkuliert werden. Bei der Schadenerkennung von Kratzern und Beulen an der Carossiere ist die Trefferquote schon sehr hoch. Daten zeigen eine Trefferquote von bis zu 90 Prozent. Gröbere Strukturschäden sowie Schäden im Innenraum können stand heute nicht mit der KI kalkuliert werden. Versteckte Schäden können wir zwar durch ein weiteres KI-Modell indizieren, jedoch können weder wir noch ein Mensch solche Schäden ohne eingängige Diagnose abschliessend bewerten. Stand heute kann unsere KI mehr als 230 Teile erkennen und vorschlagen. Gröbere Schäden sollten jedoch immer von Menschenhand nachbearbeitet werden. Es wäre bei dem immensen Fachwissen, welches in der Branche steckt, auch eine Utopie zu glauben, dass die KI besser kalkulieren kann als Fachexperten. Eine weitere Komplikation stellen die neuen Fahrzeuge auf dem Markt dar. Auch diese müssen erst erlernt werden, um eine präzise Kalkulation zu ermöglichen. Obschon sich die KI also auf Millionen von Daten verlässt sowie von Menschen trainiert wird, ist die vorliegende Komplexität bei vielen Schadenfällen sehr gross. Menschliche Synapsen, gepaart mit Ausbildung und Erfahrung, werden nach wie vor grundlegend wichtig sein. Direkte Vergleiche zwischen einem Menschen und der KI sind auch dringend zu vermeiden, da die KI nicht bezweckt, den Menschen zu ersetzen.

Können Sie diese Aussage präzisieren? 
Was bezweckt das System?Wer bereits mit KI gearbeitet hat, weiss, dass die KI eine Unterstützung darstellt. Wir arbeiten daran, dass das breite Fachwissen, das heute schon vorhanden ist, mit weiteren Erkenntnissen gefüttert werden kann. Die KI ist ein Werkzeug, welches richtig angewendet einen enormen Mehrwert darstellt. Man kann die Arbeit mit jener eines Lernenden vergleichen. Gleich wie bei einem Auszubildenden gibt es Arbeiten, welche die KI zuverlässig und gut meistern kann. Doch es gibt auch Arbeiten, in denen es einen Lehrmeister braucht, der unterstützt, kontrolliert, vorgibt und korrigiert. Ein Test mit der KI soll daran gemessen werden, wie effizient die Prozesse verbessert werden können und nicht daran, ob die KI nun genauso präzise kalkuliert wie ein Mensch. Dieser Test wird nur schon daran scheitern, dass sich auch Menschen nicht immer einig sind, wie eine Kalkulation nun auszusehen hat.

Haben Sie Tipps, wie Garagisten dem ­Kunden den Mehrwert aufzeigen können?
Garagisten sollten idealerweise schrittweise mit neuen Technologien arbeiten und nicht den gesamten Prozess auf den Kopf stellen. Ein guter Anfang ist schonmal die Auslagerung der Foto-Aufnahme zu den Endkunden, sodass sich eine automatisierte Vorkalkulation erstellen lässt, noch bevor das Fahrzeug vor Ort ist. Das Argument, den Kunden möglichst oft zu sehen, halte ich für veraltet. Die Bedürfnisse haben sich verändert und nicht jede Person hat die Zeit und Musse, mehrfach eine Garage aufzusuchen, gerade dann, wenn es eigentlich nicht nötig ist. Zudem öffnet dieser Schritt zu mehr Automation auch Türen, weitere Schäden vorab zu erkennen und die Kundenzufriedenzeit zu erhöhen. Und eine Online-Terminvereinbarung erleichtert die Koordination für beide Seiten enorm. 

Wie einfach ist denn Ihre Implementierung? Welche Schulungen sind zu absolvieren?
Die Systeme sind ausgerichtet auf Branchenneulinge sowie weniger gut qualifiziertes Personal. Sie sind sehr einfach zu erlernen, und es bedarf keiner mehrwöchigen Schulung. Nichtsdestotrotz haben wir Schulungen, online und vor Ort, welche in wenigen Stunden aufzeigen, was die KI schon kann und was nicht. Solera’s Qapter VI wurde zudem vollumfänglich in bestehende Prozesse eingebunden, sodass es keine Einschränkungen gibt. Ausserhalb haben wir auch verschiedene API’s auf dem Markt, welche eine individuelle Anbindung an bestehende Prozesse erlaubt, unabhängig vom Audatex-System. Am besten meldet man sich direkt beim Schweizer Vertrieb der Audatex GmbH.
 
Solera’s Qapter VI in Zahlen
Das weltweit agierende Unternehmen Solera verwaltet jährlich rund 300 Millionen Transaktionen zwischen Versicherungsunternehmen, Fahrzeughaltern und dem Autogewerbe. Diese Menge entspricht global etwa 60 Prozent aller Schadenfälle. Für die Kalkulation greift die KI zurück auf eine immense Datenbank mit…
  • 300 Millionen historischen Schadenfällen
  • 4,5 Milliarden Fahrzeugbildern
  • knapp 10 Millionen Teilenummern 
  • über 7 Millionen Grafiken
  • Informationen unzähliger Hersteller, Marken und Modelle
  • über 26 Millionen Reparatur-Transaktionen
Solera’s Qapter VI ist ein Überbegriff für ein Produktprogramm, welches diverse Produkte enthält.
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